Mobbing: Mehr als nur Kollegenstreit

Mobbing: Mehr als nur Kollegenstreit
Mobbing: Mehr als nur Kollegenstreit
 
Der Begriff Mobbing wurde in der Bundesrepublik Deutschland zum ersten Mal 1990 öffentlich gemacht. Die skandinavische Forschung beschäftigt sich mit dem Phänomen des Mobbings bereits seit 1982. Untersuchungen in Schweden ergaben im Jahre 1990, dass sich 3,5 Prozent der arbeitenden Bevölkerung in einer Mobbingphase befinden. 10 Prozent bis 20 Prozent der Mobbingopfer erkranken in der Folge. Überträgt man diese Ergebnisse auf die Bundesrepublik Deutschland, so ist von ca. 300 000 bis einer Million Mobbingopfern auszugehen (so die Zeitschrift »Psychologie heute«, August 1997). Dabei ist Mobbing kein rein betriebsinternes Problem mehr; wer Opfer von Mobbing wird, kann im Extremfall schwer und oft langwierig erkranken. Die Erwerbsfähigkeit ist auf Dauer stark gefährdet. Hohe Krankheitskosten sind die Folge, die das Budget von Arbeitgeber und Krankenkasse erheblich belasten können. Allein die Kosten für die medizinische Leistung pro Mobbingopfer werden auf bis zu 50 000,- DM geschätzt. Hinzu kommen die zusätzlichen Belastungen der Unternehmen, die in Folge der krankheitsbedingten Fehlzeiten des Mobbingopfers zusätzliche Mittel aufwenden müssen, um die betriebliche Effizienz zu erhalten.
 
 Was versteht man unter »Mobbing«?
 
Das Wort Mobbing kommt aus dem Englischen »mob«, welches wörtlich übersetzt »Pöbel« bedeutet. Mobbing ist gleichbedeutend mit »Belästigen« oder »Pöbeln«. Es umschreibt den anhaltenden systematischen Versuch, Mitarbeiter oder Kollegen am Arbeitsplatz durch Klatsch, Intrigen, Unterstellungen oder üble Nachrede anzugreifen mit dem Ziel, den Betroffenen letztlich aus dem Unternehmen zu entfernen. Mobbing kann stattfinden zwischen Kollegen, aber auch zwischen Vorgesetzten und Untergebenen. Es kann gleichermaßen zwischen Männern und/oder Frauen stattfinden. Jeder kann am Arbeitsplatz Mobbingopfer werden. Das Phänomen »Mobbing« tritt in allen Branchen und Betrieben auf. Zum Teil lassen Erhebungen den Schluss zu, dass die öffentliche Verwaltung und das Gesundheitswesen in besonderem Maße von Mobbingaktionen betroffen sind.
 
 Wie vollzieht sich Mobbing?
 
Ausgrenzung eines Einzelnen
 
Nicht jeder Konkurrenzkampf in der Arbeitswelt, nicht jeder Konflikt zwischen Betriebsangehörigen erfüllt den Begriff des Mobbings. Mobbing zeichnet sich dadurch aus, dass mit Systematik die Ausgrenzung eines Einzelnen betrieben wird. Als besonders mobbinggefährdet gelten zweifelsohne Personen, die sich durch bestimmte Merkmale aus der Gruppe der übrigen Betriebsangehörigen herausheben. Beispiel: Die auffallend modisch gekleidete Kollegin, der neue Mitarbeiter, die erfolgreiche Karrierefrau, der besonders Ehrgeizige, der betont Langsame.
 
Mittel des Mobbings können sein: Herabsetzen des Betroffenen vor anderen Kollegen, Verächtlichmachung seines Äußeren, Abschneiden von wichtigen betrieblichen Informationen, Kritik bei tatsächlichen oder vermeintlichen Fehlern öffentlich und im Übermaß, systematisches Ausschließen von privaten Gesprächen der Kollegen. Darüber hinaus kann sich das Mobbing aber auch auf die privaten Lebensumstände des Betroffenen beziehen. Es werden systematisch Gerüchte über sein Privatleben verbreitet, die keineswegs der Wahrheit entsprechen müssen und deren Verbreitung auch ausschließlich dazu dient, ihn vor den Kollegen im Betrieb herabzusetzen.
 
Die vier Phasen des Mobbingprozesses
 
Nach der Studie von Leymann verläuft ein typischer Mobbingprozess in vier Phasen. In der ersten Phase steht meist ein Konflikt im Zentrum. Über diesen Konflikt setzen sich die Beteiligten nicht sachlich auseinander. Der Konflikt bleibt ungelöst und dient ausschließlich dazu, die Atmosphäre im Umgang mit dem Mobbingopfer zu vergiften. Die sachliche Lösung des Konflikts interessiert nicht mehr.
 
In der zweiten Phase wird das Mobbingopfer regelrecht destabilisiert. Die systematischen Attacken seiner Umgebung im Betrieb greifen das Selbstbewusstsein des Mobbingopfers extrem an. Stresssymptome und Existenzangst folgen in jedem Fall. Fehler bei der Arbeit häufen sich infolge der Stresssituation im betrieblichen Umfeld.
 
In der dritten Phase werden Vorgesetzte oder die Geschäftsleitung auf den betroffenen Mitarbeiter aufmerksam. Im Regelfall zieht er die Aufmerksamkeit dadurch auf sich, dass er infolge der stressgeladenen Situation tatsächlich Fehler bei der Arbeit begeht. Schildert das Mobbingopfer seine Nöte, findet es im Regelfall nur wenig Verständnis bei den Vorgesetzten. Sie neigen oftmals dazu, die Situation zu bagatellisieren, etwa in dem Sinne »so schlimm wird es doch nicht sein«. In dieser dritten Phase weist das Mobbingopfer oftmals bereits Krankheitssymptome auf; seine Fehlzeiten sind häufiger und länger.
 
In der vierten Phase des Mobbings ist das Mobbingopfer bereits völlig isoliert. Weder Kollegen noch die Vorgesetzten bringen dem Mobbingopfer Verständnis, Sympathie oder Unterstützung entgegen. Das gemeinsame Ziel »der anderen« ist es nur noch, das Mobbingopfer aus dem Unternehmen zu entfernen. Es selbst wird sich in dieser Phase kaum noch zur Wehr setzen. Häufig kommt es zu Eigenkündigungen oder bereitwilligen Unterzeichnungen von Aufhebungsverträgen.
 
 Wie kann sich ein Mobbingopfer zur Wehr setzen?
 
Die psychologischen Möglichkeiten
 
Wichtig für das Mobbingopfer ist es, dass es seine Situation überhaupt klar erkennt. Hilfreich kann es sein, wenn sich das Opfer einer Selbsthilfegruppe anschließt. Sinn ist es, die entstandene Vereinzelung aufzuheben. Das Mobbingopfer muss es wieder lernen, den ihm feindselig gesonnenen Kollegen oder Vorgesetzten Grenzen zu zeigen. Es sollte sich sowohl innerhalb der Firma aber auch außerhalb Verbündete suchen. Auch das eigene Verhalten sollte mithilfe Dritter objektiv überprüft werden. In Deutschland gibt es telefonische Mobbingberatung. Sie wird von den verschiedensten Trägern geleistet, z. B. »Profile« in Berlin, Frankfurt, Göttingen oder Hannover, aber auch »Mobbing-Beratung München« sowie »Mobbing-Telefone« wie sie z. B. die Deutsche Angestelltengewerkschaft in Hamburg eingerichtet hat.
 
Die rechtlichen Möglichkeiten
 
Zwischen Kollegen eines Betriebs bestehen keine vertraglichen Beziehungen. Wenn ein Kollege den anderen »mobbt«, kann dies im Einzelfall eine Ehrverletzung darstellen oder eine Beleidigung. Der Geschädigte kann Strafanzeige erstatten, z. B. wegen Beleidigung und übler Nachrede und/oder mit einer Unterlassungsklage gegen den Mobbingtäter vorgehen. Im Einzelfall kann auch ein Schmerzensgeldanspruch begründet sein. Die Praxis zeigt, dass den Mobbingopfern im Allgemeinen nicht gedient ist, wenn sie den Rechtsweg beschreiten. Für die Mobbingopfer wird die belastende und terrorisierende Atmosphäre am Arbeitsplatz nicht entspannter. Der Arbeitgeber hat jedoch gegenüber seinen Mitarbeitern eine Fürsorgepflicht, die aus dem Arbeitsvertrag resultiert. Er hat die Pflicht, Arbeitnehmer vor Diskriminierungen, auch durch Arbeitskollegen, zu schützen. Verletzt er diese Pflichten, kann der Betroffene Schadensersatzansprüche stellen. In der Praxis wird dem Mobbingopfer auch mit diesem rechtlichen Schritt kaum gedient sein. Überzieht es tatsächlich den eigenen Arbeitgeber mit Schadensersatzansprüchen wegen Verletzung seiner Fürsorgepflicht, so dürfte der Arbeitsplatz ohnehin gefährdet sein; das Mobbingopfer selbst wird an einer längerfristigen Weiterbeschäftigung in diesem Betrieb im Regelfall nicht interessiert sein. Eine Weiterbeschäftigung im selben Betrieb kommt für Mobbingopfer nur dann in Betracht, wenn ihnen auch vonseiten des Unternehmens Unterstützung zuteil wird. Dies kann z. B. dadurch geschehen, dass dem Mobbingopfer ein anderer Arbeitsplatz zugewiesen wird, dass es in eine andere Abteilung mit anderen Vorgesetzten und Kollegen versetzt wird. Der Arbeitsplatz kann auch dahin gehend verändert werden, dass dem Mobbingopfer andere (verantwortlichere oder leichtere) Tätigkeiten zugewiesen werden. Auch Betriebsrat und Personalräte sind bei dieser Unterstützung gefordert.
 
 Welche Ursachen hat Mobbing?
 
Mobbing mag verschiedenen Vorgesetzten und Kollegen als geeignetes Mittel erscheinen, die eigene Karriere möglichst rasch voranzubringen und unliebsame Mitbewerber auf der Strecke zu lassen. Oftmals ist aber ein regelrechter Sadismus Triebfeder, andere Betriebsangehörige »zu mobben«. Es verschafft zum Teil regelrechte Befriedigung, Untergebene, aber auch die »liebe Kollegin« zu zermürben und zu schikanieren. Es verschafft so manchem unfähigen Mitarbeiter ein Gefühl persönlicher Macht, die er möglicherweise in anderen Lebensbereichen längst verloren hat. Viele »Mobber« nutzen den Arbeitsplatz als ihre persönliche Spielwiese, privates Versagen oder berufliche Misserfolge an den schwächeren Kollegen durch systematisches Mobbing zu kompensieren. Ein solches unkontrolliertes und verwerfliches Verhalten ist jedoch nur möglich in Firmen, die sich um ihre Unternehmenskultur nicht oder nur wenig kümmern. Unzureichende Arbeitsorganisation, erhebliche Führungsdefizite, schwere Kommunikationsmängel innerhalb eines Unternehmens können Ursache sein, dass Mobbing ungewollt gefördert wird. Aber auch hohe Arbeitslosigkeit, geringere Aufstiegschancen und oftmals fehlende persönliche Perspektiven leisten einem destruktiven Betriebsklima, an dessen Ende Mobbing stehen kann, deutlichen Vorschub.
 
 Welche betriebsinternen Mittel gegen Mobbing gibt es?
 
Ein Weg, dem Mobbing am Arbeitsplatz zu begegnen, kann der Abschluss einer entsprechenden Betriebsvereinbarung oder Dienstvereinbarung sein. Es handelt sich dabei um Fragen der Ordnung im Betrieb, welche grundsätzlich dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats unterliegen. Den Betriebsparteien bleibt es unbenommen, z. B. Hearing-Stellen einzurichten, die als Ansprechpartner und »Schlichter« in Mobbingfragen fungieren können. Wichtig ist es, dass Arbeitgeber sich dazu bekennen, dass es sich bei Mobbing um ein Verhalten handelt, das zu ächten ist und geeignet ist, den Betriebsfrieden unter Umständen massiv zu stören. Stellt ein Unternehmen Richtlinien für den konstruktiven Umgang mit den im Betrieb Beschäftigten auf und kann Mobbing auf diese Weise zurückgedrängt werden, so dient das nicht nur den einzelnen Mitarbeitern, sondern dem Betrieb im Ganzen.
 
 Welche Folgen hat Mobbing für die Opfer?
 
Kann eine Mobbingsituation am Arbeitsplatz nicht unterbunden werden, wechseln die Mobbingopfer oftmals freiwillig den Arbeitsplatz. Ihnen ist eine weitere Arbeit im alten Betrieb nicht mehr möglich. Für den Betrieb hat dies unter Umständen eine hohe Personalfluktuation zur Folge. Die Arbeitsleistung des Gemobbten ist oftmals wenig effizient. Die hohen Fehlzeiten verursachen weitere Kosten. Ersatzarbeitskräfte sind zu Spitzenzeiten einzusetzen. Die Kontinuität der Aufgabenerledigung am Arbeitsplatz des Gemobbten ist stark beeinträchtigt. Wer gemobbt wird, reagiert oftmals mit Krankheit auf den seelischen Stress. Eine Erhebung der Deutschen Angestelltengewerkschaft hat einen regelrechten typischen Krankheitsverlauf in fünf Phasen als Folge des Mobbings festgestellt: In der ersten Phase, bald nach den ersten Mobbinghandlungen, stellten sich Symptome ein wie Kopfschmerzen und Schlafstörungen. Dauert das Mobbing an, kann sich in einer zweiten Phase bereits nach sechs Monaten bzw. einem Jahr eine Störung des seelischen Gleichgewichts einstellen (PTSP = posttraumatische Stresssymptome). In einer dritten Phase nach ein bis zwei Jahren kommen allgemeine Angstzustände hinzu. In einer vierten Phase dauern diese Beschwerden an; sie vertiefen sich entsprechend (zwei bis vier Jahre). In einer fünften Phase leidet das Mobbingopfer an Depressionen; es kann aber auch zu zwanghaften Verhaltensweisen kommen. Alkoholmissbrauch oder Tablettenmissbrauch können die Folge sein. Häufig leiden die Opfer unter starker Suizidgefahr.
 
 
Heinz Leymann: Die Mobbing. Psychoterror am Arbeitsplatz und wie man sich dagegen wehren kann. Reinbek1996.
 Christine Beckers und Hanne Mertz: Mobbing-Opfer sind nicht wehrlos. Wie Sie sich schützen und wehren können. Freiburg im Breisgau 1998.
 Axel Esser und Martin Wolmerath: Mobbing. Der Ratgeber für Betroffene und ihre Interessenvertretung. Frankfurt am Main 31999.
 Christa Kolodej: Mobbing. Psychoterror am Arbeitsplatz und seine Bewältigung. Mit zahlreichen Fallbeispielen. Wien 1999.
 Oswald Neuberger: Mobbing. Übel mitspielen in Organisationen. München 31999.

Universal-Lexikon. 2012.

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